„Frische, Frische, Frische – das ist der Weg!“

„Frische, Frische, Frische – das ist der Weg!“

Vor zweieinhalb Jahren sprach ich mit Dirk und Daniel Niepoort über ihr neues Mosel-Projekt „Fio Wines“. Das Interview erschien im Magazin „wein.pur“ und zufällig wiedergelesen gefiel es mir so gut, dass es nun auch hier stehen darf.

Bei einer Verkostung in der Karibik vor etwa zehn Jahren lernte der erfolgreiche Douro-Winzer Dirk Niepoort den jungen Mosel-Winzer Philipp Kettern kennen, fand ihn sympathisch und sagte ihm daher unverblümt, dass er seine Weine nicht besonders gut fand. Das legte den Grundstein für ein gemeinsames Projekt und am Piesporter Weingut Kettern hat sich einiges verändert. Dirks Sohn Daniel zog 2016 an die Mosel und das Projekt „FIO“, für welches etwas zehn Hektar Weingärten in Steillage bewirtschaftet werden, nahm Formen an.

Euer Projekt an der Mosel heißt „Fio“. Was bedeutet dieser Name?
Dirk: „Fio“ ist portugiesisch und bedeutet „Faden“. „Fio“ ist der Faden, der uns verbindet, ein „roter Faden“, der unsere Visionen und Gedanken in eine Richtung führt. Deshalb heißt unser Topwein „FIO“. Die Grundidee ist, „Weine wie früher“ zu machen.

Wie früher… was genau ist damit gemeint?
Dirk: Heute werden die meisten Weine rasch und viel zu früh auf den Markt gebracht. Früher hingegen wurden Weine erst nach mindestens 18 Monaten Holzreife gefüllt, was auch notwendig war, um die Weine balancierter zu machen. In unserem Weingut nehmen wir uns die Freiheit, ein wenig die Zeit anzuhalten: Die Weine kommen erst nach zwei oder drei Jahren in den Verkauf.
Daniel: Ein weiterer wichtiger Punkt ist unsere Idee von Säure. Wir lieben Säure! Aber Säure, die zu frisch, nicht balanciert und im Fass nicht gereift ist, wirkt aggressiv. Nur wenn der Wein genug Zeit bekommt, wird die Säure integriert. Harmonie und trotzdem Frische – das ist die Idee von FIO.

An frischen Rieslingen könnte man sich auch anderswo versuchen – zum Beispiel in der Wachau! Warum seid ihr gerade an der Mosel gelandet?
Dirk: Wachau? (lacht) Nein, nein… Mosel! Es gibt keine andere Möglichkeit. In Österreich habe ich ja schon ein Projekt in Carnuntum und das gilt dem Rotwein (Weingut Muhr – van der Niepoort, Anm.). Auch sind die steilen Schieferlagen der Mosel eine geradezu logische Verbindung zu den Schieferböden im Douro-Tal.

So seid ihr beide bekennende Mosel-Fans?
Dirk: Das bin ich schon sehr lange und ziemlich fanatisch. Bei meinem ersten Besuch an der Mosel 1987 habe mich sehr in die Gegend verliebt. Kabinette, Spätlesen und Auslesen sind hier meine Lieblingsweine. Natürlich muss ich ein bisschen aufpassen… (schmunzelt) Wenn ich im Rheingau sage, dass ich Mosel liebe, bekomme ich eins auf den Deckel.
Daniel: Ich kam zum ersten Mal zur Lese 2013 an die Mosel, quasi als Praktikant zu Philipp Kettern ins Weingut. Nun lebe ich in Piesport und unterstütze das Weingut, wo es nur geht. Ich liebe Riesling, sonst wäre ich nicht hier.

Daniel, du bist erst Mitte 20. Wo hast du vorher Wein-Erfahrung gesammelt?
Daniel: Ich bin in der Schweiz aufgewachsen und habe dort eine Winzerlehre absolviert. Anschließend bin ich in der Welt herumgereist, hatte Praktika in Südafrika und Australien, habe aber auch bei verschiedenen Betrieben in Frankreich gearbeitet, z.B. bei Jean-Francois Ganevat im Jura, Guy Roulot in der Burgund und bei Matassa im Roussillon. Das war eine supertolle Zeit, in der ich irrsinnig viele Leute kennengelernt habe. Aber ich war dann an einem Punkt, wo ich Lust hatte, Verantwortung zu übernehmen – und nun bin ich hier. Eine Umgewöhnung ist es aber schon noch, immer am gleichen Ort zu sein.

Seid ihr euch als Vater-Sohn-Gespann immer einig oder gibt es auch mal Differenzen?
Daniel: Wir sind uns relativ einig. Für mich ist es natürlich vollkommen neu, so etwas aufzubauen. Ich lerne sehr viel dabei und es macht Spaß. Oft denke ich allerdings ausschließlich ans Weinmachen… Doch auch den besten Wein der Welt muss man natürlich erst mal verkaufen.
Dirk: Ganz genau. Man kann den besten Wein der Welt machen, aber wenn niemand weiß, dass das der beste Wein der Welt ist, dann ist er es auch nicht. Dann ist er nichts. Daniel ist beim Weinmachen idealistischer als ich, was ja gesund ist – er will alles noch besser machen. Mein „perfekt“ ist anders als sein „perfekt“.

Was also ist ein perfekter Moselwein?
Dirk: Unser Hauptziel ist hier, den perfekten Kabinett zu machen! Ich bin nämlich überzeugt, das Allerhöchste an der Mosel sind nicht die Trockenbeerenauslesen und fetten Auslesen, sondern die feingliedrigen Weine. Kabinett ist unnachmachbar – diese Leichtigkeit, das Filigrane, die Langlebigkeit und der Trinkspaß. Ein Kabinett von der Mosel ist für mich einer der schönsten und besten Weine der Welt.
Daniel: Ein Wein, der puristisch ist, ganz geradlinig, aber nicht nur kitschig fruchtig, sondern harmonisch und filigran.

Euer Kabinett heißt „CabiSehrNett“ und befindet sich statt in einer schlanken Schlegelflasche ganz atypisch in einer Burgunderflasche – welchen Hintergrund hat das?
Daniel: Die Flasche steht eigentlich zwischen Burgund und Riesling, ist sozusagen eine elegantere Burgunderflasche.
Dirk: Das ist bei einem Kabinett-Wein eine eindeutige Provokation, weshalb wir ihn auch „CabiSehrNett“ nennen und uns so nicht auf den Preiskampf einlassen müssen, der in diesem Bereich herrscht. Stattdessen möchte ich, dass man den „CabiSehrNett“ respektiert und ihn als erwachsenen, ernsthaften Wein wahrnimmt: Ganz klar Mosel, mit vielleicht noch etwas mehr Säure und ein bisschen trockener als üblich. Leichtigkeit, Eleganz und Präzision! Schon mit der Flaschen-Ausstattung hebt er sich ab und ist so nicht automatisch mit herkömmlichen Kabinett-Weinen vergleichbar.
Daniel: In Deutschland ist mir wahnsinnig aufgefallen, dass ein Kabinett nicht ernstgenommen wird. Er wird immer als „einfacher Kabinett“ betrachtet und für die Konsumenten es ist schon schlimm, wenn die Flasche mehr als zehn Euro kostet, gerade hier an der Mosel.
Dirk: Ich meine, das ist aber auch eigenes Verschulden. Die Mosel war einmal die genialste Gegend der Welt und hat ihren Ruf selbst kaputt gemacht, indem sie die Qualität und die Preise in den 1960er und 70er Jahren ruiniert hat. Wenn man einmal so viel Mist produziert hat, dauert es lange, bis man das wieder wett macht. Aber das sehe ich auch als Ansporn, hier was zu tun.
Dennoch, wir selbst sind noch ganz am Anfang. Wir gehen einen sehr eigenen Weg, haben aber totalen Respekt davor, was die besten Winzer hier machen. Wir sind nicht besser und wollen es auch nicht sein. Im Moment versuchen wir herauszufinden, was wir können und was Sinn macht.

Was macht ihr anders als die anderen?
Daniel: Viele kleine Details machen den Unterschied. Wir benutzen keine Reinzuchthefen, lassen die Weine immer auf der Hefe und füllen viel später ab. Gärung und Lagerung im alten Holz sind wichtig. Abgesehen von ein bisschen Schwefel ganz am Schluss verwenden wir eigentlich keine Behandlungsmittel. Die Erträge haben wir deutlich runtergefahren.
Dirk: Außerdem arbeiten wir mit höher gelegenen Lagen, nicht nur mit Südhängen, denn die Klimaveränderung kann man nicht leugnen. Ich bin überhaupt nicht überzeugt, dass die klassischen Südlagen unbedingt besser sind, denn sie werden zu heiß und die Säure geht rasch runter. Die Weine werden dann zu pappig und schwer. Das ist genau das, was wir nicht wollen. Wir wollen mehr Leichtigkeit, weniger Alkohol, dazu Säure als wesentlichen Bestandteil. Frische, Frische, Frische. Leichtigkeit und Präzision – das ist der Weg.

Ist dabei frühe Lese eine Strategie?
Dirk: Auch. Im Douro sind wir oft schon mit der Lese fertig, wenn die anderen erst damit anfangen… Dazu gehört, dass ich alte Reben liebe. Das ist so ein Spleen von mir. Besonders geht es hier auch um die Leute und wie sie mit ihren Reben arbeiten. Denn bemerkenswert ist, dass bei alten, „altmodisch“ bewirtschafteten Rebbergen, die Trauben reif werden und dann erst der Zucker – und damit der potenzielle Alkoholgehalt – in die Höhe schnellt. Hingegen entsteht bei jungen, modern bearbeiteten Reben zuerst Zucker, also Alkohol, und dann erst wird die Beere reif. Darum haben viele Winzer Probleme – weil die Trauben nicht physiologisch reif sind, grün und wässrig schmecken, aber schon 14,5 Prozent Alkohol bringen. Die Beeren einer alten Rebe hingegen schmecken bereits bei Werten von 10,5 sehr gut.

Gilt das auch hier an der Mosel?
Dirk: Das ist überall das Gleiche. Ich stelle einfach fest, dass die altmodische, entschleunigte Art, sich um die Reben zu kümmern, quasi einem biodynamischen Zugang entspricht. Denn man nimmt nicht nur, sondern gibt auch immer wieder zurück. Heute geht viel zu oft darum, alles herauszunehmen und dann mit Chemie zu ersetzen. Dass das genau falsch ist, haben auch die Universitäten und Weinbauschulen immer noch nicht kapiert und wollen noch heute nur das Maximum aus den Trauben herausholen! Wichtig ist jedoch, alles logischer und ausgeglichener zu machen – und sicher nicht, die Industrie reich zu machen. Aber Daniel lernt dann zum Beispiel in der Schule den Blödsinn, dass man Reinzuchthefe nehmen muss, weil man muss…
Daniel: Ja, an der Schule bekommt man eine andere Message. Da wird einem zum Beispiel erzählt, es sei ein extremes Risiko, ohne Reinzuchthefen zu arbeiten. Man hat gleich für jedes Problem eine Lösung: Zum Beispiel, wenn ein Wein reduktiv ist, gilt er sofort als fehlerhaft, wird herausgeholt und behandelt. Aber gerade im Keller geht es darum, ein wenig Vertrauen und Zeit zu haben – auch bei unserem Projekt hier. Die Hauptarbeit erledigen Philipp und ich im Weingarten, im Keller schauen wir in erster Linie, dass wir nichts kaputt machen.

Geht demnach die Bewirtschaftung der Mosel-Weingärten in Richtung „Bio“?
Dirk: Langsam. Wenn es nach meinem Sohn geht, eher schneller.
Daniel: Aber es ist nicht so einfach. Wir haben eine gut abgegrenzte Lage im Wald, wo man meiner Meinung nach mal anfangen sollte, denn dort gibt es keine Nachbarn und auch keinen Helikopter, der Pflanzenschutzmittel versprüht. Aber wir gehen es „Step-by-Step“ an. Wir wollen vor allem authentische Moselweine machen.
Dirk: Speziell in Hinblick auf die Bio-Zertifizierung gibt es viele grenzwertige Vorgehensweisen und jede Menge Bürokratie. Die Zertifizierung war vor 30 Jahren eine Erlaubnis, Scheiß-Weine zu machen. Heute ist das nicht mehr so, denn es gibt viele sehr gute Bioweine. Wollen wir unseren Planeten nicht völlig kaputt machen, wird es nur mit „Bio“ gehen, aber zur Zeit ist mir da noch „zuviel drumherum“. Das Problem der Gesellschaft ist, dass es immer ums Geld und ums Geschäft geht. Wir möchten hier fokussiert etwas Gescheites und sehr sehr Gutes zustande bringen, wo jeder von uns Spaß dabei hat.

Dirk, du siehst hier mit Daniel und Philipp die junge Generation voller Eifer am Werk. Bleibst du dabei entspannt oder macht es dich auch ein wenig nervös?
Dirk: Gerade heute habe ich mich bei solch einer Verkostung mit Journalisten zum ersten Mal in meinem Leben hingesetzt und etwas zu Mittag gegessen. Das ist toll, ich musste gar nichts mehr machen, wie ich gesehen habe. Die anderen haben alles gemacht.
Daniel: Dafür hab ich noch nichts gegessen…
Dirk: So soll es auch sein (lacht) – du bist jung. So ist das ganz richtig.