Drei Seen mit frischem Wind

Drei Seen mit frischem Wind

Im Nordwesten der Schweiz liegen der Neuenburger See, der Bielersee und der Murtensee. Die Drei-Seen-Region ist ein wenig bekanntes, aber überaus spannendes Weinbaugebiet.

Berge, Banken, Uhren oder Käse – das ist die Schweiz. Dass sie auch 15.000 Hektar Weinbau besitzt wird oft vergessen. Ihre Weinbauregionen reichen von der Deutschschweiz im Osten und dem italienischsprachigen Tessin (Ticino) im Süden in den frankophonenWesten – ins Wallis (Valais), nach Genf (Genève) sowie ins Waadtland (Vaud) und schließlich nördlich davon in die kleine, aber attraktive Drei-Seen-Region (Région des Trois-Lacs).

Viel Wasser und Jurakalk

Gerade mal 1.000 Hektar Weinreben gibt es im Drei-Seen-Land, unweit von Bern. Der Neuenburgersee ist nicht nur 150 Meter tiefer als der Neusiedlersee, sondern mit einer Fläche von 218km2 auch deutlich größer – Schilfgürtel nicht mitgezählt. Die Ausmaße des Bielersees erreichen fast jene des Attersees und der Kleinste des Seen-Trios, der Murtensee, übertrifft flächenmäßig immerhin den Wörthersee. Derartige Wassermengen wirken ausgleichend auf das Klima und beeinflussen die Weinbaubedingungen positiv.
Die Weinhänge am nördlichen Ufer des Neuenburger Sees (Lac Neuchâtel) umfassen zwei Drittel der Rebfläche und liegen auf den südlichen Ausläufern des Juragebirges. Dem hellen Jura-Kalkstein ist zu verdanken, dass sich die Winzer hier verstärkt der Sorte Pinot noir widmen, welche auf kalkhaltigen Böden traditionell die höchsten Qualitäten hervorbringt. Über dem Kalk liegen Ablagerungen des Rhône-Gletschers und bilden mehr oder weniger tiefgründige Moränenböden, die den Reben ein ausgewogenes Wasser- und Nährstoffangebot liefern.

Stilfrage am Neuenburger See

Die Pinot-Stars am Neuenburgersee heißen Jean-Denis Perrochet von der Domaine de la Maison Carrée, Louis-Philippe Burgat von der Caves de Chambleau sowie Thierry Grosjean von Château d’Auvernier. Trotz räumlicher Nähe gibt es spannende Unterschiede im Weinstil.
Thierry Grosjeans Pinot noir „Les Argiles“ stammt von Böden mit höherem Lehmanteil und bietet eine besonders saftige Frucht und viel Charme – elegant, mit Röstnoten und mittelkörnigen Tanninen. Das Aushängeschild der Caves de Chambleau, der Pinot noir „Pur Sang“, zeigt sich trotz hoher Konzentration straff und fokussiert. Niedrige Erträge, hochreife Trauben, sorgfältigste Verarbeitung und der gekonnte Einsatz kleiner Fässer verleihen Ausdruckskraft und Lagerpotenzial.
Der feinste Pinot noir kommt von La Maison Carrée („Das Rechteckige Haus“) – seit 1827 in Besitz der Familie von Jean-Denis Perrochet und seit 2012 auf biodynamische Wirtschaftsweise umgestellt. Lebendigkeit, Leichtfüßigkeit und Frische prägen die traditionell im großen Holz ausgebauten Weine. Mit rotbeeriger heller Frucht und enormer Seidigkeit beeindrucken sowohl der Pinot noir „Auvernier“ als auch der etwas festere, kompakte „Hautrive“, in dessen Weinbergen bereits nach einem Meter Boden der Kalkstein ansteht.

Aufwärtstrend am Bielersee

Der kleinere Bielersee liegt östlich vom Neuenburgersee und ist mit diesem durch den Zihlkanal verbunden. Am Nordufer befinden sich beschauliche Winzerdörfer wie Ligerz, Twann und Tüscherz. Die Weine vom Bielersee genossen nicht immer den besten Ruf, doch seit eine junge engagierte Winzergeneration vermehrt das Ruder übernommen hat, geht es klar bergauf.
In den Ligerzer Weinbergen liegt zum Beispiel das Weingut Steiner-Schernelz, seit 2014 geführt von Sabine Steiner, die den Weinmanagment-Lehrgang in Krems besuchte, bevor sie in die Schweiz zurückkehrte und für neue Impulse am elterlichen Weingut sorgte. Hauptsorten sind Chasselas und Pinot noir, Sabines besondere Leidenschaft gilt aber auch dem Chardonnay. Die Trauben für die im Barrique ausgebaute Reserve stammen von von 30-jährigen Reben in einer Parzelle direkt vor dem Winzerhaus. Saftige Frucht, feiner Schmelz und pikante Frische enden präzise und salzig im Abgang des sortentypischen Chardonnays, der seit vergangenem Jahr auch in der Schatzkammer des „Mémoire des Vins Suisses“ eingelagert wird.

Ausflug zur Petersinsel

Durch Hochwässer versumpftes Land zwischen den Seen haben die Schweizer mittels zweier „Juragewässerkorrektionen“ entwässert und landwirtschaftlich nutzbar gemacht. Die erste Korrektion gegen Ende des 19. Jahrhunderts ließ den Wasserspiegel des Bielersees um mehr als zwei Meter sinken – so verwandelte sich die St. Petersinsel in eine Halbinsel.
Im Jahr 1765, als sie noch eine echte Insel war, hielt sich der Philosoph, Denker und Schriftsteller Jean-Jacques Rousseau für sechs Wochen im Inselhaus auf und verhalf der Petersinsel durch seine Schilderungen zu einer gewissen Berühmtheit. Sie wurde zu einem beliebten Reiseziel für Adelige, Gelehrte und Künstler. Heute gelangt man per Boot oder per Wanderung durch das Naturschutzgebiet auf die Halbinsel. Ehemalige Klostergebäude werden für einen Hotel- und Restaurantbetrieb genutzt. Neben einem musealen „Rousseau-Zimmer“ gibt es archäologische Funde aus der Bronzezeit, der Römerzeit und dem Frühmittelalter zu bestaunen.
Landwirtschaft und Rebbau haben lange Tradition und prägen die Petersinsel auch heute. Seit 1965 wächst hier der „Insel-Wein“ des Weinguts der Stadt Bern und die fünf Hektar Reben mit den Sorten Pinot noir, Chasselas, Pinot gris und Chardonnay werden biologisch bewirtschaftet.

Spezialitäten am Murtensee

Wie der Bielersee ist auch der südlich gelegene Murtensee durch einen Kanal mit dem Neuenburgersee verbunden. Die 150 Hektar Weinberge von Morat-Vully liegen zwischen dem Neuenburgersee und dem Murtensee – 50 Hektar gehören zum Waadtland und 100 Hektar zum Kanton Freiburg. Neben den üblichen Verdächtigen Chasselas und Pinot noir überrascht der „Mont Vully“ auch mit Spezialitäten wie Gewürztraminer und Freiburger.
Freiburger (auch Freisamer) ist eine Kreuzung aus Silvaner und Grauburgunder, gezüchtet 1921 im süddeutschen Freiburg und gekennzeichnet von einer feinen prägnanten Säure. Christian Vessaz vom Demeter-zertifizierten Weingut Cru de l’Hopital in Môtier erklärt: „Wir sind sehr stolz auf unsere Weine, auch wenn wir am Murtensee nur über ein Prozent der Schweizer Rebfläche verfügen. Unser Terroir dominiert ein grauer Sandstein, darunter liegt eine Mergelschicht. Auf den sandigen Böden fühlt sich Traminer besonders wohl und erhält sehr präzise Aromen.“
Mit Freiburger und Traminer setzen die Winzer von Vully auf lokale Besonderheiten, die seit den 1950er Jahren am Murtensee gedeihen und der kleinen Appellation Eigenständigkeit verleihen. Sie haben zusammen die „Charta von Vully“ gegründet, um diese beiden Sorten aufzuwerten und in den Fokus zu rücken. Die Regeln der Charta beinhalten eine Ertragsbegrenzung, ein Mindestmostgewicht bei der Lese und verbieten die Anreicherung des Mostes mit Zucker sowie den Verschnitt mit anderen Rebsorten. Ständiger Gedankenaustausch soll die Winzer am Murtensee voranbringen.